Interview mit den Stieber Twins
Verfasst von Andi am Dienstag, 27. Mai 2008 um 14:12
Hallo Stiebers, schön euch hier begrüßen zu dürfen. Wie geht es euch und was gibt es Neues bei euch?
Chris: Uns geht es sehr gut. Bei uns gibt es insofern nichts Neues, außer dass wir immer noch unser Studio besitzen und weiterhin Musik produzieren. Ich bin vor kurzer Zeit Vater geworden, meine Tochter ist seither mein Hauptprojekt, dem ich viel Zeit widme.
Wir wollen dieses Jahr auch noch eine Instrumental-Platte herausbringen. Wir haben zuhause haufenweise Instrumentals rumliegen, die sollten wir nun bald mal veröffentlichen. Außerdem haben ich und Aphroe gemeinsam ein paar Zeilen geschrieben, womöglich wird da noch eine 12“ erscheinen.
Wir sind beide voll berufstätig und stehen mit beiden Beinen im Leben. HipHop ist für uns eigentlich nur eine Freizeitbeschäftigung, die wir zwar ernst, aber nicht zu ernst nehmen.
Die Old-School-Ikonen LSD haben vor kurzem ihr Klassiker-Album „Watch Out For The Third Rail“ wiederveröffentlicht. Wäre das für euch ebenso denkbar, dass ihr „Fenster zum Hof“ rereleast?
Martin: Naja, das wäre grafisch vielleicht ein kleines Problem, da das Cover fehlt. Mit Akim von MZEE hab ich schon über diese Idee gesprochen, wir würden vermutlich noch eine Maxi hinzufügen. Der finanzielle Aspekt wäre bei einem Rerelease sicher nicht ausschlaggebend, die Nachfrage nach dem Album ist allerdings definitiv gegeben. Ich persönlich muss aber sagen, dass ich es immer sehr cool finde, wenn ich sehe wie die Platte bei Ebay um 70 Euro verkauft wird. Das bringt der LP sicherlich einen gewissen Sammlerstück-Charakter ein.
Ihr seit seit mehr als 15 Jahren in der HipHop-Szene unterwegs und habt viel miterlebt. Mittlerweile lebt ihr sehr zurückgezogen, gebt wenig Interviews und spielt nicht mehr viele Live-Konzerte. Könntet ihr euch vorstellen, bei einem passenden Angebot sich wieder zurück in die Öffentlichkeit zu begeben und so etwa als Label-Manager oder in anderer Position in der HipHop-Welt zu arbeiten?
Martin: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, wir haben ja auch nie ausschließlich von der Musik gelebt. Wir waren zwar sicher Mitte der 90er bis 2000 nicht mehr wegzudenken, aber dennoch sind wir auch in dieser Zeit stets unseren Berufen nachgegangen. Ich habe meinen Schuhladen, Chris hat ab 1998 Architektur studiert – da hat uns HipHop nur am Wochenende interessiert.
Chris: HipHop war für uns nur ein Zubrot, die Brötchen haben wir uns wo anders verdient. Wir stehen heute mit beiden Beinen fest in unserem Leben, da interessiert uns ein Job in so einem heißen Geschäft wie das Musikbusiness ganz einfach nicht.
Überhaupt kann man die Musikindustrie nicht mehr mit früher vergleichen. Wir hatten ja eine Menge Angebote: Sony, Edel, Moses Pelham, Yo Mama – da sind wir überall in großen Büros gesessen. Heute läuft das ja ganz anders ab. Schau doch mal nach Amerika: Madlib ist für uns ein Künstler, den wir sehr respektieren. Der wird dennoch nicht mehr als 10.000-12.000 Platten verkaufen. Früher, da verkauften Public Enemy noch 350.000 Platten pro Album. Das Geld ist heute sicher nicht mehr da um Künstler aufzubauen, alles muss schnell gehen.
Wie habt ihr reagiert, als ihr davon gehört habt, dass die Juice euer Album „Fenster zum Hof“ zum besten Deutschrap-Album der deutschen HipHop-Geschichte gewählt hat?
Ein Freund der Stiebers ruft dazwischen: Da haben sie gleich ihre Jobs gekündigt! (Großes Gelächter)
Martin: Also auf mein Konto hat sich das leider nicht ausgewirkt (wieder Gelächter). Aber na klar, das hat uns natürlich gefreut.
Chris: Ja, aber dass wir gleich erster werden, ist schon ein wenig peinlich…
Martin: Dafür können wir doch nix. Das Interview, das dazu erschienen ist, fand ich super, außerdem haben sich viele Leute im Umfeld sehr darüber gefreut. Es ist also natürlich eine gute Sache, bei der ich mich sehr geehrt fühle.
Seit einiger Zeit wohnt ja auch Kool Savas in eurer Stadt Heidelberg.
Martin: Das freut uns. Savas ist ein lustiger Kerl und lässt sich auch des Öfteren in unserem Laden blicken. Er ist jedoch immer in Eile und hat nicht viel Zeit zum Plaudern.
Chris: Ich habe ihn erst in Heidelberg so richtig kennen gelernt, und muss auch sagen, dass er ein ganz cooler Typ ist. Savas schaut, dass seine Sachen immer am Laufen sind, es macht ihm aber immer noch viel Spass.
Martin: Dieser letzte Song, in dem er mit dem Auto durch den Tunnel gefahren ist und über Autos gerappt hat, fand ich jedoch weniger gut. Autos sind zwar eine tolle Sache, aber ob man das unbedingt thematisieren muss, weiß ich nicht… Grundsätzlich ist seine „King Of Rap“-12“ eine tolle Platte gewesen. Wir haben ihn ja eigentlich schon gekannt, als er noch Juks hieß und auf Englisch rappte.
Chris, du warst schon sehr früh viel in der Welt unterwegs, in der Albumsproduktionszeit von „Fenster zum Hof“ warst du etwa in der Türkei Motorradfahren oder hast New York besucht. Was für Eindrücke hast du damals von der Geburtsstadt der HipHop-Kultur gesammelt?
Chris: Tja, wie soll man das beschreiben? Wir sind da halt an einer Kreuzung in Brooklyn gestanden, und auf einmal ging Kurious bei mir vorbei. Du erlebst die Leute, die für dich die größten Heros waren, in ihrer natrülichen Umgebung. Wir haben auch viele Sprüher und Breakdancer kennengelernt, etwa die Rock Steady Crew. Außerdem haben wir einmal ein Konzert von Black Sheep und Showbiz & AG im berühmten Apollo Theatre besucht.
Martin: Ich denke, dass die Entwicklungen im Jahr 1994 man dann 1999 auch in Deutschland gemacht hat.
Chris: Wir waren in New York, als 1994 die „Illmatic“-Platte von Nas erschienen ist. Das war für New York wie ein Schlag ins Gesicht, alles hat sich schlagartig geändert. Diese LP hat gemeinsam mit dem ersten Notorious B.I.G.-Album eine neue Ära eingeleitet, beide Releases wurden nicht mehr getoppt. Da gab es auch noch echte Streetpromotion, überall hingen DIN A3-Werbeposter von Nas. All die Züge, das U-Bahn-Netz, die Häuser, der ganze Flair – das war bzw. ist für uns HipHop.
Wie habt ihr euch die Reisen nach New York finanziert?
Chris: Wir haben ja immer einen festen Job gehabt und haben auch mit der Hand in dem Mund gelebt. Insgesamt waren wir acht Mal im Big Apple.
Glücklicherweise haben wir einen Freund in New York gehabt, Viktor, der leider schon verstorben ist. Er hatte 1998 ein Praktikum bei Loud Records absolviert, zu dieser Zeit waren gerade Mobb Deep, Pete Rock und Raekwon gesignt. Ich fuhr mit ihm in den 12. Stock des Gebäudes, als mir auf einmal Prodigy entgegen trat. Er war damals natürlich einer unserer absoluten Helden, und war auch gleich total freundlich und hat mit mir ein wenig geplaudert. Danach habe ich Zutritt ins Büro bekommen, wo gerade zum ersten Mal das „Soul Survivor“-Album von Pete Rock den A&Rs vorgespielt wurde. Die Platte war so geil, da konnten die Leute von Loud das Produkt nur gut promoten! Als dann auf einmal „Tru Master“ angespielt wurde, war ich total aufgeregt und habe zu zittern begonnen! Wir waren auch bei 45King im Studio. Dies liegt irgendwo im 30. Stock über den Dächern von New York, einfach geil.
Weiters waren wir einem Studio, in dem gerade das Pharaohe Monch-Album aufgenommen wurde. Pharaohe Monch saß da auf einer Couch und war total auf Opium. Wir drückten ihm dann unsere „Fenster zum Hof“-CD in die Hand, er packte diese sofort aus. Auf einmal hielt er die CD gegen das Licht und war total vom Geschimmere fasziniert. Dieser Zustand dauerte sicher fünfzehn Minuten an! Ich habe auch DJ Spinna unsere CD gegeben. Mit der Musik konnte er weniger anfangen, dafür feierte er das Cover total ab.Besonders die Hinterseite des Booklets, mit all den alten Old School-Plakaten muss ihm gefallen haben, denn seine darauf erschienene Platte sah danach genau so aus! Unsere Trips nach New York werde ich sicher nicht vergessen und möchte ich nicht missen. Einfach eine verdammt geile Zeit.
Ein Vorwurf der alten HipHop-Generation an die heutige Jugend ist, dass man heute alles aus Amerika kopiert. Ein Beispiel dafür ist etwa der Dipset-Hype, der ja wie eine Landplage über die Landschaft geschwappt ist. Erinnert euch doch bitte zurück an die Zeit, als ihr noch jung wart: Hat es denn für euch nicht auch Vorbilder und Idole gegeben, an denen ihr euch orientiert habt und das eine oder andere abgeschaut habt?
Chris: Grundsätzlich ist die Message das Wichtigste in einem HipHop-Lied, egal ob sie jetzt in einem Uptempo-Beat oder in einem Dipset-Instrumental verpackt ist. Es kann durchaus sein, dass heutzutage mehr Wert auf den Reim gelegt wird, das war bei uns halt nicht so. Bei uns standen vor allem die erste und die letzte Zeile einer Strophe im Vordergrund, das war für uns am Wichtigsten.
Wie definiert ihr den im Jahr 2008 den Begriff Authenzität im HipHop-Kontext? Gelten heute noch immer die gleichen Parameter für Realheit wie vor 10-15 Jahren?
Chris: Das ist halt wieder das leidliche Thema was als real, und was nicht als real zu bezeichnen ist. Real zu sein bedeutet für mich, man selbst zu sein. Egal ob man nun wie MC Hammer rumläuft oder Dipset kopiert – wenn du dich nicht veränderst und dein Ding durchziehst, reicht das, um Erfolg zu haben. Wenn man immer nur ein Fähnchen im Wind ist, wird das nicht gut sein. Die Realheitsdebatte war immer schon ein großes Thema. Doch nicht nur 2008, sondern auch ’98 oder ’88, galt für uns immer derjenige als real, der einfach nur er selbst war.
Realheit wird also nicht über die vier Elemente definiert? Was haltet ihr dann von Fler? Der Berliner war früher ein Trainbomber und kommt ursprünglich aus der Graffiti-Szene, was doch eigentlich als „überreal“ gelten müsste.
Chris: Nein, man muss einfach man selbst sein, dann ist man real.
Martin: Es ist total egal, was Fler macht. Wie gesagt, Realheit hat nichts mit den Elementen zu tun.
Was sagt ihr denn zum Streit zwischen B-Tight und den Brothers Keepers? Wie weit darf künsterische Freiheit gehen; wo sollte sie enden?
Chris: Die Sache ist folgende: Früher war es einfach aufzufallen, da die Szene nur sehr klein war. Heute wollen alle schockieren, um gut verkaufen zu können. Aufgrunddessen machen viele Künstler Dinge, die sie selbst vielleicht ironisch sehen. Wenn dieser B-Tight also „Neger Neger, Schornsteinfeger“ sagt, meint er dies zwar mit einem Augenzwinkern und man sollte es nicht überbewerten. Andererseits verstehe ich natürlich auch die Brothers Keepers, denn wenn man als Farbiger selbst auf so ein Niveau herabgleitet, lockt dies natürlich bestimmte Leute an. Es gibt einen Unterschied ob ich zu einem Farbigen „Neger“ sage, oder sich Farbige selbst als „Neger“ bezeichnen. Dies ist eine Frage des Respekts. B-Tight lädt jedoch mit seinem Plattencover die Leute ein, diesen Respekt zu verlieren. Das ist meiner Meinung nach das Schlechte daran. Sich so zu vermarkten, ist angreifbar, B-Tight macht das halt, um besser Platten zu verkaufen. Berlin ist ja ein Riesendorf, da ist es einfach wichtig, aufzufallen.
2007 seid ihr gemeinsam mit der La Familia am Splash aufgetreten. Wie habt ihr dieses Event empfunden?
Chris: Ich war zum ersten Mal seit 2000 am Splash, und mir hat es sehr gut gefallen. Die Resonanzen waren hervorragend, und es hat ein schönes Miteinander, und keinen Starkult gegeben.
Martin: Ich hatte das Glück, das legendäre 2003er Splash im Jarhundertsommer mitzuerleben, aber auch auf den verregneten Splashes war ich dabei. Die Veranstalung 2007 hat mir ebenfalls Spaß gemacht; wir hatten einen schönen Auftritt, die Veranstalter waren zufrieden wir hatten einfach eine gute Zeit.
Wie fühlt man sich, wenn man diese Veranstaltung mit den Jams früherer Tage vergleicht? Was hat sich zum Positiven, was zum Negativen verändert?
Martin: Es hat sich sicherlich viel verändert was HipHop im Allgemeinen betrifft, egal ob positiv oder negativ. Marktwirtschaftlich schreibt man sicherlich noch schöne Zahlen, auch wenn die Kinder auf Grund der Downloads nicht mehr das gleiche Werteverständnis für Musik haben wie früher.
Jeder sollte sich sein eigenes Bild darüber machen, was sich nun verändert hat – es ist einfach eine andere Zeit als früher. Egal was sich zum Positiven und was sich zum Negativen verändert hat – HipHop ist immer noch da. Schau dir die Veranstaltung hier doch an: Die Leute rappen, sprühen, breaken, und es gibt keine Schlägerein – das ist doch die Hauptsache.
Ich bedanke mich für das Interview!
Pics by www.hiphopfotos.com
geführt von Andreas Berger für Generation One
Kommentare (10)
Kategorie: Interviews
- © by www.rapblog.ch
Pingback by RapBlog.ch » Rapschlagzeilen - Woche 22/2008
Made Montag, 2 of Juni , 2008 at 13:37
[…] Noch ein weiteres interessantes Interview: Stieber Twins Kategorie: News© by http://www.rapblog.ch Keine Kommentare […]
Comment by bjo-tiga
Made Dienstag, 24 of Juni , 2008 at 13:19
interessant
Comment by Obscene
Made Freitag, 11 of Juli , 2008 at 21:19
Cooles Interview. Auf Freakshit.org gibt es Heidelberg Cypher. Unbedingt auschecken.
Comment by digga
Made Donnerstag, 2 of Oktober , 2008 at 16:41
Easy Type und cools Interview. Spannend was sie so erläbt hän in New York, würdi gern me drüber erfahre!
halla
Comment by Lance1
Made Freitag, 3 of Oktober , 2008 at 12:24
definitiv! Scho die eint Antwort isch rächt amüsant ^^
Pingback by Generation Tapedeck « Oldschool-Abschluss
Made Montag, 27 of Oktober , 2008 at 10:53
[…] und Supercity zwei Oldschool-Schmankerl. Zunächst einmal ein noch nicht völlig veraltetes Interview mit den Stieber Twins, in dem Sie unter anderem eine neue Instrumental-LP noch für dieses Jahr ankündigen. Und dann das […]
Comment by Bamalicious
Made Sonntag, 3 of Mai , 2009 at 16:50
schönes interview!
viktor in new york = dj vikED (R.I.P.)
Comment by tixclub
Made Donnerstag, 13 of August , 2009 at 23:36
Super Interview! Ist aber auch eine Ausnahmeband…
Euch weiterhin viel Erfolg und bis bals… schaue sicher wieder rein!
Pingback by HipHop » Blog Archive » Stieber Twins
Made Mittwoch, 27 of Oktober , 2010 at 18:07
[…] Interview bei Rapblog.ch (2008) […]
Pingback by RapBlog.ch – Your Rap Music Webzine » Stieber Twins – Fenster geputzt (mixed by DJ Backup)
Made Mittwoch, 10 of August , 2011 at 17:47
[…] mit einem leicht aufdringlichen DJ Backup an den Cuts. Next stop New York! Wer hatte noch mal ein Interview mit den Jungs […]